< Zurück zur Übersicht
(Seite 1 von 1)

Vaterhass

Wonderz77
Geburtsjahr
1993
Geschlecht
männlich
Tätigkeit
Student

Hallo zusammen

Schon seit zwei Jahren rede ich nicht mehr mit meinen Vater, für den ich nur noch Hass empfinde. Schon seit meiner Kindheir konnte ich nie mit ihm über meine Gefühle und Probleme rede, was auch durch seine fehlenden Deutschkenntnisse bedingt ist.

Als ich dann ca. 16 Jahre alt war, hat sich die Situation ziemlich verschlechtert. Mein Vater ging viel ins Casino (Spielsucht) und nahm dafür viel Geld aus dem gemeinsamen Konto mit meiner Mutter. Aufgrund seiner Spielsucht kam es zu vielen Streitereien zwischen ihm und meiner Mutter. Er sagte immer wieder, dass er mit dem Spielen aufhört, was nicht der Fall war. Zu diesem Zeitpunkt wurde mein Hass gegenüber meinem Vater immer grösser, da meine Mutter keine Kraft mehr hatte und er meiner Meinung nach nur für sich schaute. Es kam dann auch zu vielen Streitereien zwischen mir und meinem Vater, der mich auch mehrere Male schlug. Nach vielem Streit hörte er schliesslich mit dem Spielen auf und die Familiensituation wurde besser. Leider war der Frieden nur von kurzer Dauer.

Ca. In meinem 20. Lebensjahr, als ich mit meinem Studium startete, begann mein Vater plötzlich immer mehr Bier und Wein zu trinken, was ich zu Beginn nicht als schlimm empfand. Jedoch verschlimmerte sich sein Trinkverhalten und er war viele Male besoffen. In diesem Zustand war er sehr agressiv und sagte meiner Mutter fast immer, dass sie Schuld sei, dass er so eine schlechte Beziehung hatte. Mich nannte er immer Versager und sagte, dass ich nie meine Ziele erreiche und er alles dafür tut, dass ich mein Studium nicht schaffe (seine Worte verletzten mich sehr und ich hatte aus diesem Grund manchmal auch Suizidgedanken). Das zeigte mir, dass er seine Fehler nicht einsieht, dass er Schuld ist für diese familiäre Situation. Mehrere Male versuchte ich meine Mutter davon zu überzeugen, dass wir uns eine neue Wohnung suchen müssen und sie sich von meinem Vater trennen sollte, da er uns kaputt macht . Da meine Mutter aber Angst davor hatte alleine zu sein, meinen Vater immernoch sehr liebt und es auch als Schande aussah sich von meinem Vater zu trennen, vergab sie ihm unter der Bedingung, dass er mich in Ruhe lässt.

Die Beziehung meiner Eltern verbesserte sich. Ich hingegen sprach kein Wort mehr mit meinem Vater und wartete nur darauf, dass ich mein Studium abschliesse und wegziehen kann. Ich lebe nun seit zwei Jahren alleine und spreche immer noch nicht mit meinem Vater. Ich verspüre immernoch einen grossen Hass für ihn, jedoch leidet meine Mutter sehr unter dieser Situation und wünscht sich nichts mehr, als dass ich mit meinem Vater Frieden schliesse. Ich habe schon mehrere Male darüber nachgedacht, aber dann denke ich wieder an diese schlimmen Momente und was er mir und meiner Mutter angetan hat. Anderseits kann ich meine Mutter nicht mehr so leiden sehen. Da ich immernoch nicht weiss, was ich machen soll, wäre es vielleicht sinnvoll, von einer Person einen Rat zu erhalten, die mich nicht kennt oder in einer ähnlichen Situation steckte.

Antworten

Antworten sortieren

Antwort

Lili
Geburtsjahr
1993
Geschlecht
weiblich
Tätigkeit
Studentin

Hallo Wonder

Du beschreibst da viele schwierige Momente in deinem Leben und ich verstehe, dass das Verhältnis zwischen dir und deinem Vater dadurch sehr gelitten hat. Ich kann auch deine Wut verstehen und deine Hilflosigkeit und Angst, die deine Wut in Hass verwandelt haben. Aber du bist jetzt nicht der mehr der Junge von damals, du bist erwachsen und frei von der belastenden Situation. Es ist an der Zeit loszulassen und zu vergeben. Mit deinem Hass schadest du nicht nur deiner Mutter, von der du sagst, dass sie unter der Situation leidet, sondern vorallem auch dir selber. Denn Hass und Bitterkeit zerfressen dich von inner, sie machen dein Herz hart und kalt und können dein ganzes Leben bestimmen. Du wirst niemals wirklich frei sein von deiner Kindheit, solange du die Vergangenheit nicht loslassen konntest. Es braucht eine bewusste Entscheidung von dir.

Zum Loslassen gehört auch das Vergeben. Vergeben heisst nicht, dass du gutheissen musst, was dein Vater getan hat. Vergeben heisst auch nicht, das was passiert ist zu verharmlosen. Aber vergeben heisst, zu akzeptieren, dass die Person, die an einem Schuldig geworden ist, zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage war "besser" zu handeln. Dein Vater war nicht in der Lage, dir ein besserer Vater zu sein. Er war nicht der Vater, den du gebraucht hättest. Er hat Fehler gemacht, er hat dir und deiner Mutter grosses Leid zugefügt. Er hat dich geschlagen, gedemütigt und enmutigt, statt dir seine Liebe zu zeigen und dir zu sagen, dass er stolz ist auf dich. Aber wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, dann hätte er vieles anders - und besser - gemacht. Er konnte es nicht.

Er kam mit seinem Leben nicht zurecht - aus welchen Gründen auch immer. Er begann zu spielen, vielleicht weil er euch allen ein besseres Leben bieten wollte. Das ist zumindest häufig so - von aussen betrachtet ist das natürlich völig bescheuert. Oder dein Vater wollt mit dem Geld einen tiefen Selbstwert kompensieren, mit Statussymbolen wie ein tolles Auto oder Markenklamotten. Vielleicht war es auch einfach die Freude am Gewinnen, die positiven Gefühle. Dein Vater wurde auf jeden Fall spielsüchtig und konnte dem Sog der Sucht nicht mehr wiederstehen, da sind die gleichen Mechanismen aktiv wie bei einer Drogenabhängigkeit. Ich denke, du weisst, wie schwierig und langwierig es ist, da wieder rauszukommen. Aber dein Vater hat es geschafft. Das war ein langer Weg - er wusste, dass er süchtig ist und dass er als Vater und Ehemann versagt hat und hat versucht aufzuhören, aber die Sucht war stärker und er wurde zunehmend frustriert und hat das an euch Zuhause ausgelassen und sich dafür selber gehasst, weil er euch doch eigentlich liebt.

Schliesslich hat er den Kampf gegen die Sucht gewonnen, aber er ist mit seinem Leben und seinen Schwierigkeiten und psychischen Kämpfen immernoch nicht klargekommen. Und vielleicht auch damit, dass er durch seine Spielsucht beinahe seine Familie zerstört hat. Er sah keinen anderen Weg, als seinen Kummer im Alkohol zu ertränken. Und sein sowieso auf Sucht programmiertes Belohnungsystem hat dafür gesorgt, dass er innert kürzester Zeit alkoholabhänhig wurde. Und dein Vater hat das gemerkt, er hat gesehen, dass er wieder versagt hat und wieder nicht aus der Sucht rauskommt. Und daneben warst du, der erfolgreiche Sohn, der dem alles gelang, was er selber nie geschafft hat. Vielleicht hätte er sogar selber studieren wollen und konnte es aufgrund der finanziellen Verhältnisse der Familie nicht. Und du, der du doch gar nichts für das Versagen deines Vaters kannst, wirst zum Abfalleimer für seinen Kummer. Und deine Mutter zum Sündenbock. Denn wer andere klein macht, der fühlt sich gross. Wer andere schlecht hinstellt, der fühlt sich selber besser. Ausserdem vernebelt Alkohol die Sinne und schränkt das Denkvermögen ein - was jemand im Suff sagt (oder in der Wut) sollte man nicht allzu ernst nehmen.

Warum erzähle ich dir das? Weil dein Vater auch nur ein Mensch ist. Ein Mensch mit einer Geschichte, die voller Hochs und Tiefs ist, voller positiver und negativer Erfahrungen, voller guter und schlechter Entscheidungen. Ein Mensch mit Stärken und Schwächen, ein Mensch der letztlich versucht das Beste aus sich und seiner Vergangenheit zu machen und mit seiner Prägung und den Konsequenzen seines Handelns leben muss. Du kennst die Geschichte deines Vaters sicher besser als ich, und wenn nicht, weiss sie deine Mutter, frag sie danach, wenn du noch nicht bereit bist mit deinem Vater direkt zu reden. Versuche zu verstehen. Versuche zu akzeptieren, dass er sein Bestes getan hat (auch wenn du es immer noch unter aller Sau finden darfst). Das wird deinen Hass und deine Verbitterung langsam auflösen können. Und wenn du merkst, dass du sachlicher mit dem Thema umgehen kannst, dann probiere doch deinem Vater in einem Brief zu schreiben, was sein Verhalten mit dir gemacht hat. Schreie, weine und wirf im alles an den Kopf, was du ihm schon lange sagen wolltest. Und dann, wenn du dich dazu bereit fühlst - vielleicht auch an einem anderen Tag - schreibe darunter: "Aber egal was passiert ist, du bist immernoch mein Vater und ich bin dein Sohn. Und ich vergebe dir." Und halte an dieser Entscheidung fest, wenn Hass und Verbitterung aufkommen, dann weise sie weg (denk zum Beispiel "Ja, das was er getan hat, war scheisse. Aber er konnte es nicht besser. Und ich vergeben ihm sein Unvermögen."), du wirst merken, wie du mehr und mehr loslassen kannst. Den Brief kannst du deinem Vater geben, aber du kannst ihn auch einfach für dich behalten - oder eine zweite, etwas sozialverträglichere Variante für deinen Vater verfassen, vorzugsweise zu einem Zeitpunkt, an dem du nicht gerade total wütend bist und in der Ich-Form (als zum Beispiel " Es hat mich tief verletzt, dass du mich einen Versager genannt hast.").

Weisst du, ich habe es geschafft, meinem Stiefvater zu vergeben, der mich als Mädchen jahrelang psychisch und physisch misshandelt hat. Und meiner Mutter, die dabei zugesehen hat und mir das Gefühl gegeben hat ungeliebt und wertlos zu sein. Meine Vergebung hat nicht nur mich selber frei gemacht, sondern auch unsere ganze Familiensituation verändert. Ich war damals zwanzig Jahre alt. Manchmal flammt die Wut oder das Unverständnis von damals schon wieder auf, dann rede ich mit meiner Mutter darüber - das ist heute möglich. Zu meinem Stiefvater habe ich mehr und mehr ein freundschaftliches Verhältnis, manchmal sogar liebevoll. Hätte ich meinen Groll mit mir herumgetragen, statt ihn loszulassen, dann wäre dies nie möglich geworden. Deswegen: Lass los!

Kommentare

Kommentar
Lili |
Geburtsjahr
1993
Geschlecht
weiblich
Tätigkeit
Studentin

«Vielleicht muss man erst vergeben, damit sich der andere mit seiner Schuld auseinandersetzen kann.» Svenja Flasspöhler, Philosophin

Ich habe gerade dieses Zitat gelesen und denke, dass es gut zu deiner Situation und meinen Gedanken dazu passt. 😘

Antwort

June
Geburtsjahr
1993
Geschlecht
weiblich
Tätigkeit
Weltretterin

Hallo :)

Es tut mir sehr leid was dir wiederfahren ist, das ist bestimmt nicht leicht. Dass deine Mutter sich wünscht es wäre alles gut liegt vermutlich daran dass sie ein gutes "Familienbild" abgeben will.

Wichtig ist was du machst, fühlst du dich im Stande deinem Vater zu vergeben? Denn oftmals hat sich das eine art "verarsche" dargestellt denn du wurdest vermehrt durch sein handeln verletzt. Ich an deiner Stelle würde ihm und auch deiner Mutter klar machen dass du dich verletzt fühlst und dich vor weiteren verletzungen schützen willst. Du musst nicht frieden schliessen wenn du nicht so empfindest, egal wer sich das wünscht.

Du kannst höchstens versuchen damit klar zu kommen. Um es zu verstehen warum es soweit kommen konnte kannst du mal versuchen nachvllziehen warum dein Vater so gehandelt hat. Hatte er eine schlechte Kindheit? Wuchs er im Krieg auf? Was hat dazu begetragen dass es soweit kommen musste?

Eines ist klar! DU bist auf keinen Fall schuld! Du warst ein Kind und hättest beschützt werden sollen, und da hat dein Vater wie auch deine Mutter leider versagt.

Ich hatte auch eine nicht so tolle Kindheit, wichtig ist dass man versucht zu verstehen was einen Menschen soweit treibt. Ich weiss es hört sich schwierig an, aber man kann lernen zu verzeihen egal was vorgefallen ist, es braucht Zeit, Verständnis und auch Gespräche. Melde dich doch bei mir falls du reden willst.

Ich wuchs bei meiner Mutter und Stiefvater auf. Mein Vater agressiv und mein Stiefvater einen Psychopathen. Ich verstehe dich dass es nicht immer leicht ist!

Fühl dich gedrückt!

Antwort

Firefox
Geburtsjahr
1997
Geschlecht
männlich
Tätigkeit
Kaufmann

Hey Du :)

Wir haben wohl eine ähnliche Story - ich habe seit x Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Vater. (Gewalt, Alkohol usw).

Ich habe meinem Vater einen Brief geschrieben und im alles gute gewünscht, im "vergeben" (bin nicht gläubig) - ich habe einige Zeit in einem Alterheim gearbeitet und weiss wie die Leute leiden und der Streit unterbewusst oder bewusst belastet. Das war ein Geschenk für Ihn und ein Geschenk für mich.

Ich habe immer noch keinen Kontakt mit Ihm obwohl er dies wünschte, aber für mich ist die Sache erledigt und ich trage weder Hass noch Groll in mir - das ist befreiend für mich.

Vielleicht bist du einmal für einen ähnlichen Schritt bereit?

Liebe Grüsse